Es begab sich im August 2018, als das Collegium Vini aufbrach, an der Ahr die burgundische Finesse zu ergründen. Um es genau zu spezifizieren, gemeint ist, ob die burgundische Finesse des Spätburgunders auch an der Ahr, quasi als deutsche Finesse der Burgundertraube, zu finden ist – und worin sie sich womöglich unterscheidet und nicht einfach nur das Burgund zu kopieren versucht.
Wir haben an diesem Tag drei auf ihre jeweils individuelle Art höchst bemerkenswerte Weingüter kennengelernt, nur unterbrochen von einer spannenden Reise zurück in die Zeit des Kalten Krieges.
Bei Paul Schumacher freuten wir uns nach der Busfahrt auf den Tapas-Teller und begannen die 8er-Weinprobe mit einem 2016er Blanc de Noir Sekt nach traditioneller Flaschengärung, handgerüttelt (Pinot Noir Brut, 13,0 % vol., 12,00 €).
Von Paul Schumacher erfuhren wir schon mal, was burgundische Finesse eher nicht ist: viel Alkohol, schwer, marmeladig und überreif geerntet. Eigentlich seien burgundische Burgunder zu selten bezahlbar UND gut, was sich nur durch ihren Kultstatus erklären ließe. Die Weine seien nur etwas für Fortgeschrittene, fordern beim Trinken, sie sind lagerfähig und entwickeln sich nur sehr langsam. Im Vergleich zur Ahr mit vornehmlich Schiefer und Grauwacke seien im Burgund eher leichte Kalkböden zu finden. Die Erträge sind gering, bei etwa 2500-3000 l/ha. Das Wichtigste scheint aber die rechtzeitige blitzschnelle Ernte zu sein. Binnen eines Zeitfensters von max drei Tagen wird mit 100 Leuten gleichzeitig eine Lage bei etwa 88°-89° Öchsle gelesen. Die Traube hat dann noch die komplette Struktur, in der Frucht ist noch eine gewisse Spannung – ähnlich wie bei noch etwas grünen Bananen im Vergleich zu den überreifen.
Er schwärmte uns von einem Wein seiner Spitzenlage Trotzenberg, geerntet am 11.9.2012 mit 92°-93° Öchsle, mit einem sehr schlanken Ergebnis und einer sehr langsamen Entwicklung vor – leider rückte er (noch?) keine Kostprobe heraus. Vielleicht machten wir keinen fortgeschrittenen Eindruck?
Nach dem Sekt ging es weiter mit:
2017 Blanc de Noir, Spätburgunder, Qualitätswein trocken, 12,0 % vol.
Paul Schumacher gönnt sich noch eine Lage am Rhein, um auch einen Riesling anbieten zu können:
2016 Leutesdorfer Riesling „Rheinspiel“, Qualitätswein, 11,5 % vol.
2015 Spätburgunder Carpe Diem, Qualitätswein trocken, 13,5 % vol., 12,50 €
Dieser Wein war noch sehr verschlossen, Paul Schumacher empfahl viel Sauerstoff, ruhig 4-5 Tage geöffnet, aber wieder verkorkt, stehen lassen. Dabei fiel mir auf, dass mein Weinschrank nur für liegende Flaschen vorgesehen ist. Bevor die Kaufreue voll einsetzte, dachte ich glücklicherweise vorher noch daran, dass eine angebrochene Flasche sehr selten bei uns längere Zeit überlebt.
2015 Frühburgunder, Qualitätswein trocken, 13,0 % vol., 13,50 €
2015 Spätburgunder PurPinot, Qualitätswein trocken, 13,5 % vol., 20,00 €
2016 Ahrweiler Rosenthal, Spätburgunder, Qualitätswein trocken, 13,0 % vol., 24,00 €
2015 Marienthaler Trotzenberg, Spätburgunder, Qualitätswein trocken, 13,0 % vol., 26,00 €
Hier kamen wir der burgundischen Burgunderfinesse schon näher – aber es ging noch näher dran, wie wir später am Tag feststellen konnten.
Vorher kam die Zeitreise zurück in die Achtziger – der Besuch des ehemaligen Regierungsbunkers, zuletzt aktiv zu Zeiten des Altkanzlers Kohl. Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Umzug der Regierung nach Berlin wurde der Regierungsbunker obsolet. Hätte man damals wohl für 1 DM kaufen können (+ Betriebsnebenkosten natürlich). Hier ein paar Eindrücke:
Interessant war dann der Besuch bei Julia Bertram, deren Philosophie einen gänzlich anderen Eindruck als Paul Schumacher hinterließ. Paul Schumacher möchte bei seinen Weinen und seinem Betrieb eher die Entwicklung des Winzers betrachtet wissen, während Julia Bertram die Handschrift der Weine, nicht der Winzerin, in den Vordergrund stellt. Begriffe wie Lage, Traube, Wein, Boden und Heimat prägen ihre Weinphilosophie. Das schmeckt man – und wie.
Wir begannen mit einem 2016 Handwerk Spätburgunder, Qualitätswein, trocken, 11,5% vol., 11,00 €. Dieser Wein stellt quasi einen Querschnitt des Ahrtals dar, eine frühe Lese, nicht angereichert, das Traubenmaterial muss jedoch altes Holz wegstecken können.
À propos altes Holz: Julia Bertram setzt 300 l-Fässer aus wenigstens 5 Jahre abgelagerter kerniger Spessarteiche von der Büttnerei Aßmann ein. Ihr „eigenes Faß“ wird medium getoastet ohne Dämpfen, was weniger Süße bedeutet.
Der 2016 Dernauer Spätburgunder, Qualitätswein, trocken, 12,0% vol., 17,00 € ist eine Cuvée aus den Lagen Hardtberg, Pfaffinger und Schieferley, der etwa 12-15 Monate im Fass lag. Schiefer und Grauwacke haben diesem Wein eine leichte Rauchigkeit verliehen, weswegen Julia Bertram ihn auch liebevoll neckend als „Schieferstinker“ bezeichnete. Wir kamen der deutschen burgundischen Finesse immer näher.
Es ging weiter mit dem 2016 Forstberg Spätburgunder, Qualitätswein, trocken, 13,0 % vol., 28,00 €. Von der Lage her ist das ein unmittelbaerer Nachbar des bereits von Paul Schumacher bekannten Ahrweiler Rosenthal mit 35-40 Jahre alten Rebstöcken. Beim Forstberg entscheidet Julia Bertram bzgl. des Holzes von Jahr zu Jahr unterschiedlich, beim 2016 sind es 80% neues Holz. Julia Bertram sieht die optimale Trinkreife etwa 2020/21.
Das Spitzengewächs ist der Trotzenberg Spätburgunder, Qualitätswein, trocken, 12,5 % vol., 38,00 €, 18 Monate im Fass. Um das Ergebnis vorwegzunehmen – der burgundischste und finessenreichste Wein, doch dabei gar nicht frankophil anbiedernd.
Genussvoller Abschluss unserer Fahrt an die Ahr bildete der Besuch des Klosters Marienthal mit herzhaftem Abendessen mit Weinen des Weingutes Meyer-Näkel.
Wir wurden zunächst von Herrn Röcker mit einem Glas Winzersekt und frischen Flammkuchenhäppchen im Klostergarten begrüßt, eine wundervolle Location mit einer wechselhaften Geschichte, belastet mit einem Fluch einer von der französischen Armee vertriebenen Äbtissin. Den Weinen und unserer guten Laune hat es nicht geschadet.
Herr Röcker führte uns dann durch den historischen Gewölbekeller aus dem 12. Jahrhundert, wo wir dann direkt aus dem Holzfass einen Spätburgunder 2017 „Der Mönch“ vom Weingut Kloster Marienthal probieren konnten.
Zur rustikalen Winzervesper mit verschiedenen Rohschinken, Schweinebratenaufschnitt, Hausmacher Blut- und Leberwurst, Rauchmettenden und einer Auswahl regionaler und deutscher Käse verkosteten wir folgende Weine:
2017 Weissburgunder, Weingut Meyer-Näkel
2017 Illusion Spätburgunder, Weingut Meyer-Näkel
2016 Spätburgunder Q.b.A., Weingut Meyer-Näkel
2016 Frühburgunder, Weingut Meyer-Näkel
2016 Spätburgunder „Blauschiefer“, Weingut Meyer-Näkel
2016 Spätburgunder „S“, Weingut Meyer-Näkel
2014 Neuenahrer Sonnenberg Spätburgunder GG, Weingut Meyer-Näkel
Ich glaube, wir konnten die burgundische Finesse in ihrer deutschen Ausprägung nahezu perfekt ergründen. Wir haben die burgundische Finesse nicht nur bei den Ahr-Weinen, sondern auch bei den Menschen, denen wir begegnet sind, erleben können. Insbesondere Julia Bertram erscheint mir als die Personifizierung der burgundischen Finesse. Wow. Um die Suche abzurunden, wünsche ich mir eine kleine Fortsetzung spätestens in 2020 zu unserer Jahrgangsprobe. Der Jahrgang 2018 verspricht ein ganz besonderer an der Ahr zu werden, so Paul Schumacher als auch Julia Bertram, wenn der September noch ein bisschen mitspielt. Und es sieht ja ganz danach aus. Wir sollten also bereits jetzt entsprechend ordern!