Georgien ist ein faszinierendes Land. Die Schönheit der Landschaft am Fuße des Kaukasus, die Fruchtbarkeit seiner Täler und Ebenen und die unzähligen Kulturdenkmäler , die von einer großen Vergangenheit erzählen, ziehen jeden Reisenden sofort in ihren Bann. Das Symbol der Heiligen Nino („die Erleuchterin Georgiens“), die im 4. Jahrhundert das Christentum brachte, ist das Weinrebenkreuz und bezeugt die große spirituelle (und nebenbei auch wirtschaftliche) Bedeutung des Weinbaus für dieses Land zu allen Zeiten. Auf der Weinreise des Collegium Vini dorthin (vom 15. bis 23.09.19) wurden viele der genannten Aspekte des Landes sicht- und erlebbar. Es wäre vermessen auch nur ansatzweise zu versuchen die Eigenart Georgiens zwischen postkommunistischer Tristesse und dynamischem geistigem und ökonomischem Aufbruch in Kürze beschreiben zu wollen und daher möchte ich mich ausschließlich auf den önologischen Aspekt der Reise konzentrieren. Ich will versuchen jenseits des rein Deskriptiven meine ganz persönliche Wahrnehmung des Gesehenen und Erlebten mitzuteilen und bitte um Nachsicht, wenn ich gleich zu Beginn etwas weiter aushole:
Ich glaube, dass unter der heutigen Jugend, soweit sie überhaupt dem Wein als Genussmittel zugänglich ist, die sog. „Naturweine“ eine Art Kultstatus haben. In unseren Breiten ist es eine neue, urbane Mittelschicht junger Erwachsener, die sich beim Wein dem Geschmack der Väter und Großväter verweigert. Man möchte neue Wege gehen, möglichst rational begründbar, und da haben sich, dem ökologischen Zeitgeist voll entsprechend, die sog. „Naturweine“ angeboten. Für diese stellte man einige Kriterien in den Raum, die erfüllt sein müssen um den ungetrübten Genuss zu garantieren: (1) In den Prozess der Vinifikation sollte von Seiten der Weinmacher möglichst wenig eingegriffen werden, (2) der Wein sollte keine Zusätze, selbstverständlich auch keine Schwefelverbindungen, enthalten und schließlich sollte er (3) unfiltriert bleiben. Ökologischer Rebbau ist ein „Muss“ für die Naturweine der weltweit aktiven „Hipster“-Generation. Zwar gibt es keinerlei offizielle Definition des „Naturweins“ aber alle europäischen Sprachen haben den Begriff in ihren Wortschatz aufgenommen. Auf der Suche nach nachahmenswerten Vorbildern wurde man in Georgien fündig und heute ist die 8.000-jährige Weinkultur dieses Landes („Wiege der Weinkultur“) der Standard aller Naturweinfreaks. Was von der UNESCO 2013 in Würdigung seiner langen Geschichte als immaterielles Weltkulturerbe anerkannt wurde ist heute die Utopie progressiver Ökowinzer auf der ganzen Welt. Paradoxerweise bezeichnen sich gerade diese als önologische „Avantgarde“. Obwohl dies äußerst seltsam klingt kommt es dem globalen Image und Absatz georgischer Weine naturgemäß sehr gelegen.
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Im Focus der georgischen Vinifikation stand seit jeher die „Qvevri“. Dabei handelt es sich um Tonamphoren unterschiedlicher Größen in denen der Wein bereitet wird, reift und gelagert wird. Die Töpferkunst diese Gefässe herzustellen ist leider auch in Georgien langsam dabei auszusterben. Es gibt wohl nur noch drei oder vier ernst zu nehmende Unternehmen, die Qvevris für höchste Qualitätsansprüche produzieren können. Im Unterschied zur konventionellen, „europäischen“ Weinbereitung werden Most, Beerenschalen und Stiele samt Traubenkerne gemeinsam in die in die Erde eingegrabene Qvevri gegeben, unter ständigem Umrühren und Niederdrücken der Maische vergoren, luftdicht verschlossen, nach frühestens 6 Monaten abgestochen und konsumiert. Ein identisches Prozedere gilt gleichermaßen für Rot- wie für Weißweine. Diese methodische Basis wird nun in beinahe jeder Kellerei leicht abgewandelt und dem gewünschten Stil des jeweiligen Weinmachers angepasst. Mit am Gaumen spürbarem Erfolg ist dies im kleinen Weingut IAGO (Weinmacher: Iago Bitarishvili) in der Region Kartli geschehen. Während die so entstandenen Rotweine zwar viel Tannine und Farbstoffe enthalten, ähneln sie in ihrer Struktur und ihrem Geschmack den uns bekannten Kreszenzen. Bei den Weißweinen ist das völlig anders: bereits die Farbe, die meist ins Rötlich-Orange geht, deutet auf erhebliche Unterschiede zu europäischer Standardproduktion. Das wird auch im Duft deutlich , wo mehr oder weniger oxydative Töne in kräutrige Noten eingebunden sind. Auch Moos- und Pilz-Nuancen finden sich häufig. Am Gaumen zeigen alle Weißen aus der Qvevri Tannine und Bitternoten. „Herb“ und „rustikal“ sind zwei Eigenschaften, die die weißen bzw. orangefarbenen Weine gut beschreiben (“Orange-wine”). Was mir in fast allen Kellereien besonders aufgefallen ist, sowohl bei den Rot- als auch bei den Weißweinen, ist die beinahe vollständige Abwesenheit von primären Fruchtaromen. Gleichermaßen aufgefallen ist mir, die geringe Aufmerksamkeit, die die Winzer offenbar auf ihre Rebgärten richten. Nicht ein einziges Mal wurde uns eine kellereigene Rebanlage gezeigt und auf das Thema angesprochen gab man sich immer sehr kurzangebunden. Besteht da etwa ein Zusammenhang zwischen mangelnder Frucht und Rebpflege?
Aus meiner obigen Beschreibung der Eigenschaften von georgischen Qvevri-Weinen ist vermutlich bereits erkennbar, dass sie mich persönlich nicht voll überzeugt haben. Trotzdem muss ich feststellen, dass sie große Charaktere sind, wie beispielhaft die Weine des Château Schuchmann (Weinmacher: Roland Burdiashvili) in Kisiskhevi. Man muss wohl an einen Paradigmenwechsel im Weingeschmack glauben, wenn man diesen Weinen eine große Zukunft voraussagen wollte. Die georgische Methode war ja auch nicht ganz so einzigartig in der Geschichte des Weins wie man dem Besucher glauben machen möchte: in Amphoren und auf der Maische wurde Wein auch bei den Griechen und Römern bereitet und die spanischen „Tinajas“ aus Ton, die noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts fast überall im Land anzutreffen waren, sind ganz bewusst zur Verbesserung der Weinqualität zugunsten anderer Behältnisse verlassen worden. Bei der Methodik der Weinbereitung gilt selbstverständlich ebenfalls die Regel „das Bessere ist der Feind des Guten“. Auch die Georgier haben dies, trotz aller Liebe für ihre Traditionen, längst eingesehen und so gibt es ganz wunderbare “moderne“, (sog. „europäische“) Weine. Manche davon stellen gar eine Synthese von vorsichtig eingesetztem Qvevri- und Barrique-Ausbau dar. Hervorragende Beispiele dafür sind das kleine Weingut Martali Gvino (Weinmacher: Nicolaz und Mikhail Bitskinashvili sowie Thomas Schubaeus), in der Region Kachetien und natürlich das Château Mukhrani nahe der Hauptstadt Tiflis in der Mtskheta Region. In letzterem macht der u.a. in Bordeaux ausgebildete deutsche Patrick Honnef Weine von überragender Qualität, deren rote Varianten tatsächlich ein wenig an die Kreszenzen aus Pomerol erinnert haben.
Man kann nicht über die Weinkultur Georgiens schreiben ohne einige der autochthonen Rebsorten des Landes, die fast immer reinsortig ausgebaut werden, zu erwähnen. Es gibt angeblich an die 500 verschiedene Sorten und allen voran steht der rote Saperavi. Diese Rebe bringt eine Färbertraube hervor, d.h. sie hat rotes Fruchtfleisch und ist damit mit dem Dornfelder oder der Alicante Bouschet vergleichbar. Ihre Qualität in Geschmack und Struktur der Weine ist allerdings einzigartig und dem Cabernet Sauvignon oder dem Merlot ebenbürtig. Die erwähnten großen Rotweine Georgiens sind aus dieser Rebsorte, die übrigens auch sehr ansprechende, relativ farbintensive, Rosés liefert. Weitere rote Rebsorten, die manche Weine dominieren sind die Shavkapito, und die Aleksandrouli. Man findet sie häufiger in Qvevri-Weinen. Unter den weißen Sorten, die auch für den klassischen Qvevri-Ausbau benutzt werden, sind die autochthonen Tsinandali, Rkatsiteli und Chinuri erwähnenswert. Selbstverständlich werden auch junge, frische und sehr attraktive Weiße im „europäischen“ Stil ausgebaut.
Es lohnt, sowohl unter dem Zukunftsaspekt als auch aus historischem Interesse sich mit georgischem Wein zu beschäftigen. Die Vielfalt der Vinifikationsmethoden und die jeweils dazu gehörigen Weine ergeben ein spannendes Spektrum sinnlicher Erfahrungen, das jeden Weinfreund nur erfreuen kann. Allerdings muss man für dieses Erlebnis gelegentlich über den Schatten des eigenen, Jahre lang gefestigten, Weingeschmacks springen.
Peter Hilgard