Bei meinem letzten Besuch zu Jahresanfang in Granada saß ich mit einem Weinfreund im „Chikito“, jenem traditionsreichen Restaurant unter dessen Dach sich schon der Dichter Federico Garcia Lorca und der Komponist Manuel de Falla zusammen aufgehalten haben. Hier wird typisch granadinisches Essen serviert und dazu tranken wir einen raren Rotwein aus der Region „Vinos de Madrid“, es handelte sich um den 2005er Initio der Kellerei Las Moradas de San Martín, von dem es nur etwas über 23.000 Flaschen gibt. „Ein typischer Parker-Wein“ sagt mein Gegenüber nach dem ersten Schluck und tatsächlichdie Dichte der Aromen, in denen Frucht sowie balsamische Noten, eingebunden in weiche, fast süße, Tannine vorherrschen, verschlug mir kurzzeitig den Atem. Ein Blick auf das Etikett verrät einen Alkoholanteil von 15 %-Vol. Es entspann sich eine lange Diskussion, die bis zur Nachspeise und dem Süßwein (einem 2001er Moscatel „Casta Diva“ von Gutierrez de la Vega aus der D.O. Alicante – sensationell!) anhielt, ob solch hohe Alkoholgehalte denn überhaupt gerechtfertigt seien.
Ist der Alkoholgehalt eines Weins diskussionswürdig?
Es stellte sich heraus, daß wir zwei durchaus unterschiedliche Meinungen zum Thema hatten. Seine Argumente kreisten immer um den Aspekt der unerwünschten Alkoholwirkungen. Er führte gesundheitliche und soziale Probleme, bis hin zum potentiellen Alkoholismus, an und alles gipfelte schliesslich in der Aussage meines Freundes, dass man „ja nur sehr wenig davon trinken könne“. Diese Bemerkung entlarve ihn nicht gerade als Geniesser, gab ich zu bedenken, denn wer sich über den Alkoholgehalt eines Weines beklage trinke ihn offenbar primär gegen den Durst. Dafür gibt es aber weitaus bekömmlicheres und billigeres Wasser.
Als Macher eines eigenen Weines, der in machen Jahren auch 15 Vol.-% in die Flasche bringt (Cerro de la Retama und Corral de Castro), weiß ich natürlich, daß Alkohol auch Teil des Terroirs darstellt. In Höhenlagen mit viel ultravioletter Strahlung (und ein Großteil Spaniens kann eigentlich als „Höhenlage“ bezeichnet werden) gibt es viel Zucker in den Trauben. Frühere Lese hilft dabei auch nicht unbedingt, denn dann überwiegen sehr häufig noch grüne Töne und unreife Tannine, die der Weintrinker von heute überhaupt nicht mehr akzeptiert. Der „Klimawandel“ macht vor Spanien auch nicht Halt und trägt auch einen Teil zu den hohen Zuckerwerten im Lesegut, und damit zum späteren Alkoholgehalt, bei. Lassen wir´s doch einfach so wie es ist. Über den Vergleich von Wein mit der Musik habe ich schon oft geschrieben und ich meine, dass sich ein authentischer Wein mit hohem Alkoholgehalt wie ein Live Konzert zu einer geschönten und perfektionistisch aufbereiteten Studio-Aufnahme verhält. Wem man den Vorzug gibt ist eine Stil- und Geschmacksfrage.
Peter Hilgard