Bericht zur Vorpremiere der Großen Gewächse des VDP am 25. und 26. August in Wiesbaden

Ein Gastbeitrag von Kai Wagner, November 2014

Wiesbaden, Ende August 2014, Montagmorgen. 152 Weinkritiker, Händler, Importeure und Sommeliers aus 18 Ländern strömen ins Kurhaus zum Spitzenereignis des deutschen Weins: der Vorstellung der Großen Gewächse der VDP-Betriebe, der besten trockenen Weißweine des Jahrgangs 2013 und Rotweine aus dem Jahr 2012. Diese Verkostung von Rang wird Jahr für Jahr professionell organisiert und durchgeführt und gestattet so dem Kritiker eine konzentrierte Arbeit unter idealen Bedingungen.

Die überwiegende Mehrheit der VDP-Winzer hatte auch im schwierigen Jahr 2013 Große Gewächse produziert, wenn auch mit 502 angestellten Weinen gegenüber 509 im Vorjahr ein leichter Rückgang zu verzeichnen war. Deutschland ist Riesling-Land, daran wird sich so schnell nichts ändern, aber: Deutschland wird mehr und mehr rot, dieser Trend bleibt ungebrochen. Alle roten Reben, Frühburgunder, Lemberger und allen voran der Spätburgunder, legen zu und machen schon mehr als ein Viertel der Grand Crus aus. Insgesamt kommen im September fast fünfmal so viele Große Gewächse auf den Markt wie im Premierenjahr 2002.
Das kann Anlass zur Sorge geben, zumal auch die Anzahl der Großen Lagen, jener privilegierter Weinberge, aus denen Große Gewächse erzeugt werden dürfen, weiter zunimmt. Eine weitere Entwicklung dieses Tempos untergrübe das Qualitätsversprechen, für das der VDP einsteht. Es darf aber nicht übersehen werden, dass die Qualitätsentwicklung im deutschen Wein, die gerade der VDP maßgeblich vorangetrieben hat und weiter vorantreibt, ungebrochen ist.

  • Die Spitzenweine sind kontinuierlich besser geworden. Betriebe, die auch vor zehn Jahren bereits zur Elite gehörten, haben sich weiter gesteigert, sind zum Teil zu ökologischer Produktion übergegangen und erzeugen heute nicht nur Weine mit Dichte und Charakter, sondern von höchster Eleganz.
  • Die Entwicklung beim Spätburgunder ist imposant. Etwa zehn Betriebe in Deutschland haben hier Weltniveau erreicht, was freilich die Welt außerhalb Deutschlands noch nicht wirklich realisiert hat.
  • Die Spitze ist breiter geworden. Junge Betriebe, die vor zehn Jahre praktisch unbekannt waren, gehören heute zur erweiterten Führungskreis, einige alteingesessene sind aus dem Dornröschenschlaf erwacht.
  • Die Stilistik wandelt sich, nicht mehr Obstschnittchen und Cremetörtchen als Leitmotiv, sondern Terroirexpression, Individualität, Mut zur Eigenwilligkeit.

Die alljährlich gleich lautende Kritik am VDP ist gleichwohl nicht ganz unberechtigt: viele schwache Betriebe, die nicht zur deutschen Weinelite gehören, viele Große Gewächse, die bloß gewöhnliche Spätlesen sind, viele Lagen, die nicht wirklich groß sind. Hinzu kam in diesem Jahr die Frage, ob es nicht zuweilen ratsam sein kann, in Jahren wie 2013 hier und da auf die Erzeugung Großer Gewächse zu verzichten.

2013 war ein sehr schwieriges Jahr für den Winzer: Ein finsterer Januar, ein sehr kalter Februar und ein frostiger März zu Beginn. Erst Mitte April etwas Sonne und Wärme, dann ein launischer Mai mit Wärme und viel Regen. Erst im Juli dann ein stabiler, schöner Sommer. Ab Mitte September dann
wieder reichlich Regen, der Anfang Oktober, kurz vor der Lese, nochmals deutlich zunahm bei zugleich eher warmen Temperaturen. Die Folge war eine rasche Reifeentwicklung bei gleichzeitig einsetzender Fäulnis. Während in den Weinbergen manche Trauben noch nicht voll ausgreift waren, waren andere auf Grund der Fäulnis schon für einen trockenen Wein nicht mehr verwendbar. Das Beste daraus zu machen bedeutete, eine extrem selektive Handlese in kürzester Zeit durchzuziehen. Wer das nicht schaffte, musste im Keller nachbessern. Und das merkte man so manchem Wein an.

2012 dagegen, also das Rotweinjahr dieser Vorpremiere, war ein echter Glücksfall. Die Erwartungen bei der Verkostung waren demnach hoch gesteckt.
Knapp 400 der 502 Großen Gewächse standen in Wiesbaden zur Verkostung an. Am Ende des zweiten Tages hat man nur die gute Hälfte der Weine recht gründlich studiert, so dass jeder Bericht lückenhaft bleiben muss. So auch dieser: Grau- und Weißburgunder blieben unverkostet , ebenso viele Rieslinge und einige Silvaner. Andererseits hatte ich deutlich mehr Weine doppelt getestet als im Vorjahr. Warum? Es gab eine Menge an Überraschungen, allen voran eine große Zahl von wirklich großartigen Weinen aus dem vielgescholtenen Rheingau. Doch der Reihe nach.

Ahr
Überwiegend gute Spätburgunder und Frühburgunder, Herausragendes von Stodden und Meyer-Näkel. Deren Weine sind makellos, und zwar durch die Bank. Stilistisch freilich verschieden, qualitativ gleichermaßen ganz oben.

Baden
Große Spätburgunder. Ganz vorn Huber. Hubers Weine sind ganz weit entfernt von dem, was sonst in Deutschland Spätburgunder heißt, passen in keine Schublade, sind fein verwoben, geheimnisvoll als kämen sie aus einer orientalischen Zauberwelt. Ein wahres Vermächtnis ist der Wildenstein, einer der besten jemals in Deutschland geschaffenen Spätburgunder: Fruchtnoten von schwarzen Beeren und Schattenmorellen verschmelzen mit Tabak und Gewürznelke, sehr saftig und dicht, kühle, tiefgründige Mineralik, extrem komplex, dabei nie üppig, sondern erfrischend und duftig. Andere Rebsorten nicht verkostet.

Franken
Wirklich beeindruckend waren die Spätburgunger von Fürst und Baltes. Kaum beeindruckend die meisten Silvaner. Herauszuheben ist der im Vergleich zu den traditionell fruchtigen Weinen der Kollegen zunächst karg wirkende Maustal-Silvaner von Luckerts. Der kompromisslose Stil der Luckert-Brüder mit aufwendiger ökologischer Weinbergsarbeit, Cordon-Erziehung, Maischestandzeit, Spontanvergärung im großen Holzfass und langem Hefelager führt zu Weinen, die wenig vordergründigen Glanz mit Duft, Primärfrucht und Zuckerschwänzchen verbreiten, sondern vielmehr fränkische Bodenhaftung auf höchstem Niveau demonstrieren. Der Maustal-Silvaner ist dicht, leise, erdig, kräutrig und ruht in sich selbst. Sehr gut, aber freilich ganz anders, die Silvaner von Weltner und May. Riesling nicht verkostet.

Mosel
Der restsüße Riesling ist die unangefochtene Domäne der Mosel, mit großen trockenen Weinen tat man sich eher schwer, und so ging auch diesmal die Produktion Großer Gewächse zurück. Dass es trotzdem funktioniert, zeigen mal wieder mehr als eindrucksvoll Reinhard Löwenstein und Clemens Busch. Der Löwenstein-Stil ist luzider geworden, noch straffer, klarer und strukturierter, was den Terroircharakter insbesondere der Weine aus der Lage Uhlen noch stärker unterstreicht. Jahrgangsbedingt fielen die Erträge niedrig aus, was die Dichte, Mineralität und Salzigkeit der Weine weiter steigert, ihnen immense Kraft verleiht, ohne dass sie fett werden. Clemens Busch zeigt wieder einmal eine hochklassige Kollektion aus den Marienburger Lagen mit einem noch unentwickelten erdigen, kräuterigen, kühlen und straffen „Falkenlay“ an der Spitze. Sehr gut ebenfalls Fritz Haag mit der Juffer-Sonnenuhr, die salzig und mit feiner und komplexer Säure daher kommt. Stilistisch freilich ganz anders als Löwenstein und Haag, mehr feinfühlige Mosel-Klassik, aber mit ebenso viel mineralischer Würze. Kräuter, Tabak, dichte, schwarzbeerige Frucht sind fein verwoben.

Nahe
Die Nahe ist stets eine sichere Adresse für feinste Rieslinge. Sicher sind auch in diesem Jahr die Weine der Güter Emrich-Schönleber, Diel, Dönnhoff und Schäfer-Fröhlich herausragend und sicher sind Lagen wie die Hermannshöhle, Halenberg, Felseneck oder Goldloch exzellent, aber der ganz große Glanz fehlte diesmal. Schönlebers Halenberg wie immer auf der Höhe.

Pfalz
Beim Riesling uneinheitliches Niveau, nicht nur zwischen den Betrieben, sondern auch innerhalb einzelner Betriebe und innerhalb einzelner Lagen. Die schwierigen Lesebedingungen dürften gerade den teils recht großen Weingütern das Leben schwer gemacht haben. Faszinierend die beiden Siebeldinger Rieslinge von Hans-Jörg Rebholz Im Sonnenschein und Ganz Horn. Noch vor weniger als zehn Jahren gab es hier Weine, die nicht wussten wohin mit Kraft, Fülle und Alkohol. Jetzt ist alles in Balance, nichts quillt über, alle Kraft ist in harmonische Form gebracht. Fast könnte man verwirrt sein, dass seine Rieslinge so eingängig wirken, denn das gab es hier nie. Wer Hans-Jörg Rebholz kennt, weiss, dass seine Weine keine Eintagsfliegen sind, die wie so manche das Premierenniveau kaum halten können. Im Gegenteil: Es dürfte Spaß machen, die Reifeentwicklung zu verfolgen. Glänzend auch die Weine von Christmann, allen voran wie stets der Idig. Gut auch Bürklin-Wolf, wo seit Jahren die feinsten und tiefgründigsten Rieslinge der Pfalz geschaffen werden. Die scheinen allerdings in diesem Jahr lauter, eingängiger und glatter.

Überzeugend sind die Spätburgunder der Pfalz, durchgängig gut, in der Spitze hervorragend: Becker bringt mit Kammerberg und Sankt Paul wieder einen gigantischen Strauß an Aromen, Tannin und Würze, Rebholz mit einem 2009er Im Sonnenschein, der noch lange nicht auf seinem Höhepunkt angekommen ist, Wehrheims Kastanienbusch „Köppel“ großartig, elegant, frisch, kühl, dabei noch unentwickelt. Sehr gut auch Christmanns Idig.

Rheingau
Schon im Vorjahr hatte sich einiges getan in der Region, in der ehemals Langeweile und Restzucker tonangebend waren. Eine grandiose Serie von Weinen aus dem Rüdesheimer Berg Schloßberg etwa, die ich nicht so erwartet hatte. Völlig unterschiedlich im Stil zeigen Wegeler, Ress und Kesseler unterschiedliche Sichten auf diesen herrlichen Weinberg. Der Aufwärtstrend bei Wegeler wird auch beim Rothenberg in überzeugender Weise bestätigt. Die puristische Handschrift von Dirk Würtz hat bei Ress unübersehbare Spuren hinterlassen. Eine Kollektion makelloser Pfundsweine. Ebenso stark Kesseler mit einer Phalanx feiner Gewächse: zweimal Riesling, zweimal Spätburgunder. Wilhelm Weils Gräfenberg ist nicht nur solide wie immer, sondern absolut herausragend mit feiner in sich gekehrter Intensität.

Rheinhessen
Der Rote Hang strahlt wieder in vollem Glanz. Das ist die wichtigste Meldung aus Rheinhessen. Selten gab es so viele und so gute Weine aus den altehrwürdigen Nackenheimer und Niersteiner Lagen. Hier wird Terroir schmeckbar. Meisterlich etwa der Rothenberg „wurzelecht“ von Kühling-Gillot: Tabak, Cassis und Brombeere auf einem satten mineralischen Fundament. Der Pettenthal aus gleichem Haus folgt knapp dahinter. Meine persönlichen Lieblinge sind allerdings die beiden geheimnisvollen Wonnegauer Rieslinge von Battenfeld-Spanier, der Zellerweg am Schwarzen Herrgott und vor allem der zauberhafte Frauenberg. Wittmann durch die Bank makellos wie immer, ganz vorn ein rassiges Brunnenhäuschen mit saftiger Steinobst- und Zitrusfrucht, tief und komplex, dabei reintönig und erfrischend. Hervorragend Daniel Wagner mit seiner Heerkretz, die von Jahr zu Jahr mehr Finesse und Tiefgang bekommt.

Württemberg
Die Lemberger werden besser, weniger Schminke und aufdringliche Aromatik, mehr Kühle, Struktur und Eleganz. Vorn wie meist Schnaitmann und Aldinger mit ihren Versionen der Lage Bergmandel, aber auch Haidle und Heid zeigen schöne Weine. Schnaitmann zeigt große Eleganz, feinverwobene, seidige Aromatik und -wie man bei Schnaitmann immer weiß- großes Potential. Aldinger ist der opulentere, bietet alles, was ein großer Roter bieten kann, viel Saft und Würze, Brombeerfrucht, Zimt, das Ganze auf einer kräftigen mineralischen Basis und mit reifer Säure. Das Niveau der besten österreichischen Blaufränkisch wird allerdings von den Württembergern nicht erreicht. Das pannonische Klima mit langen trockenen Sommern kommt der Rebsorte dort eben doch sehr zugute.

Das Fazit?
Erstens – Die Qualitätskurve im deutschen Wein zeigt ungebrochen weiter nach oben. Die Spitze ist stabil, die Basis wird breiter.
Zweitens – Grund zur Freude ist die Entwicklung beim Rotwein. Es ist keine Prophezeiung mehr zu behaupten, dass der deutsche Spätburgunder denselben Rang in der Welt einnehmen wird wie der deutsche Riesling, es entspricht schlicht den Tatsachen. Einige Spitzenbetriebe haben den Weg gewiesen, die Bewegung in der Breite wird folgen.
Drittens – Es scheint sich zu bewahrheiten: Ökologische Produktion ist nicht nur besser für unsere natürlichen Lebensgrundlagen. Es kommen dabei zwar nicht in der Regel, aber zumindest im Schnitt auch die besseren Weine heraus.

Zum Schluss zwei Empfehlungslisten: Die erste zeigt die überzeugendsten Weine der diesjährigen Vorpremiere, sieben Rieslinge, drei Spätburgunder. Die zweite Liste bringt absolut überzeugende Weine von Winzern, die noch nicht zum Establishment gehören und die man daher vielleicht noch nicht so sehr im Fokus hatte.

Zweimal Top Ten

Die zehn Besten der Etablierten
Riesling
Löwenstein – Uhlen „Laubach“
Battenfeld-Spanier – Frauenberg
Wittmann – Brunnenhäuschen
Emrich-Schönleber – Halenberg
Christmann – Idig
Rebholz – Im Sonnenschein „Ganz Horn“
Spätburgunder
Becker – Kammerberg
Fürst – Schloßberg
Huber – Wildenstein

Die zehn Überraschungssieger
Riesling
Ress – Berg Schloßberg
Busch – Marienburg Falkenlay
Kesseler – Berg Schloßberg
Winter – Geyersberg
Wagner-Stempel – Heerkretz
Silvaner
Luckert – Maustal
Spätburgunder
Baltes – Schloßberg
Schlör – Fyerst
Seeger – Herrenberg
Lemberger
Beurer – Mönchberg
Heid – Bergmandel

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